Abschaffung von Genitalverstümmelung und Zwangsheirat in Tansania
Materra unterstützt ihre tansanische Partnerorganisation NAFGEM im Kampf gegen diese grausame Tradition
Land: Tansania
Projektträger: MATERRA – Stiftung Frau und Gesundheit e.V.
Laufzeit: 15.12.2018-30.11.2021
Projektleitung: Ursula Biermann
Kontakt: Ursula Biermann
Weltweit sind 125 Millionen Frauen und Mädchen von Genitalverstümmelung betroffen, einem grausamen Ritual, das auch im ostafrikanischen Tansania noch von einigen Volksgruppen praktiziert wird. Meist werden junge Mädchen zwischen 9 und 14 Jahren beschnitten, bevor sie – selber noch Kinder – verheiratet werden. Materra unterstützt ihre tansanischen Partnerorganisation NAFGEM im Kampf gegen diese grausame Tradition. Unser Ziel: Bildung durch Schulbesuch und dadurch ein selbstbestimmtes Leben statt Genitalverstümmelung und Zwangsheirat.
Im Kampf gegen Genitalverstümmelung von Mädchen
Im Norden Tansanias liegt die Stadt Moshi am Fuße des Kilimanjaro unweit der Serengeti. Hier ist der Standort unserer Partnerorganisation NAFGEM (Network Against Female Genital Mutilation.- Netzwerk gegen weibliche Genitalverstümmelung).
Von hier aus organisiert NAFGEM seit 1998 Aufklärungskampagnen gegen Genitalverstümmelung in Tansania.
Genitalverstümmelung, das ist die teilweise oder vollständige Entfernung der weiblichen Geschlechtsorgane, also der inneren und äußeren Schamlippen sowie der Klitoris. Oftmals werden hierfür nicht sterile Operationswerkzeuge genutzt, sondern Rasierklingen, Messer oder Behelfswerkzeug. Ein Ritual, das die Mädchen meist im Alter von 8 – 14 Jahren ohne Betäubung über sich ergehen lassen müssen. Viele von ihnen verbluten dabei oder leiden den Rest ihres Lebens an schmerzhaften Infektionen. Es kommt zu wuchernder Narbenbildung, die wiederum Totgeburten verursachen kann.
Quelle: Wikipedia / Beschneidung
Nur einige Fahrstunden von Moshi entfernt in den Steppen am Rand der Serengeti bis hin zum Fuß des Kilimanjaro erstreckt sich das Aktionsgebiet von NAFGEM. Hier lebt die Volksgruppe der Maasai mit ihren Rindern noch weitestgehend traditionell in dörflichen Strukturen.
Familie in Simanjiro
Fester Bestandteil ihrer Tradition ist auch die Beschneidung der Mädchen, bevor sie verheiratet werden. Nur beschnittene Mädchen gelten als „rein“. Wenn die Mädchen ins „Heiratsalter“ kommen – meist mit 8-9 Jahren, erhält die Familie vom Bräutigam einen Brautpreis– etwa 20 Rinder. Somit wird der Heiratswert der Töchter auch Lebensgrundlage für die ganze Gemeinschaft.
Mädchen sagen „NEIN“
NAFGEM hat beobachtet, dass Genitalverstümmelung und Kinderehen mit einer Reihe von Faktoren eingehen, darunter geschlechtsspezifische Ungleichheit, Ignoranz, extreme Armut – insbesondere von Frauen, begrenzte soziale wirtschaftliche Möglichkeiten und eine tief verwurzelte kulturelle Haltung gegenüber solchen Praktiken und Gendernormen. Um diese Ursachen zu überwinden, verfolgt NAFGEM verschiedene Ansätze. Sie gehen in den Dialog, schaffen Instrumente zur sozioökonomischen Stärkung der Frauen, bauen sichere Unterkünfte für Mädchen, die vor der anstehenden Beschneidung oder Verheiratung geflohen sind und Unterstützen betroffene Frauen und Mädchen medizinisch und sozial. Dazu besuchen NAFGEM -Mitarbeiter *innen die Maasai in ihren Siedlungen, in denen sie im Familienverband leben.
Aufklärung in Schulen
Sie informieren durch Aufklärungskampagnen auf Märkten, während Versammlungen, in Schulen und überall dort, wo sie viele Menschen erreichen können. Durch diese Aufklärungsaktionen erfahren die Mädchen, dass die Genitalverstümmelung ihre Gesundheit gefährdet und ihre Rechte beschneidet. Viele fordern daher von ihren Eltern, sie nicht beschneiden zu lassen. Sind diese uneinsichtig, entscheiden die mutigeren Mädchen sich für die Flucht. Oft direkt zu NAFGEM – oder sie bitten ihre Lehrer ‘Innen oder die Polizei um Hilfe.
In Tansania ist Genitalverstümmelung seit 1998 per Gesetz verboten. Aber im Norden und Nordwesten Tansanias, wo die marginalisierten Nomadengruppen leben, sind Gesetze schwer durchzusetzen. Dort leben die Menschen in den unwegbaren Gebieten immer noch nach ihren eigenen Gesetzen. Durch eine enge Kooperation mit Polizei und Schulen nehmen diese den Wunsch der Kinder ernst und bringen sie zu NAFGEM. NAFGEM nimmt die Mädchen auf und organisiert ihre Aufnahme in Schulen mit Internaten, in denen sie sicher sind.
NAFGEM Amani-Women-Center
Zusätzlich unterhält NAFGEM drei Schutzhäuser in Moshi, Orkesumet / Simanjiro und Lekrimuni. In den Schulferien und auch nach Abschluss der Schule können sie dort verschiedene Kurse machen: Computer, Nähen, Batiken, Seifenherstellung und sie lernen auch, diese Produkte zu vermarkten. Manchmal fliehen Mädchen gemeinsam mit ihren Müttern wenn nur der Vater uneinsichtig ist. Auch sie siedeln sich um die Schutzhäuser herum an, lernen dort verschiedene berufliche Fertigkeiten und bekommen psychosoziale Unterstützung. In den Schutzhäusern wird auch für die Betreuung der Jüngsten gesorgt. Momentan besuchen 96 Kinder die Kindergärten und 250 Frauen und Mädchen nehmen wöchentlich an Aktivitäten teil.
Mütter im NAFGEM Amani-Women-Center, glücklich, weil ihre Töchter bei NAFGEM sicher sind
Während die Zentren schnell wachsen und immer mehr Frauen unterstützen, sieht sich NAFGEM mit der Herausforderung konfrontiert, all das unter einen Hut zu bringen:
Nähklasse im NAFGEM Amani-Women-Center
1. Sie versuchen Kinder und Jugendliche für die Aufklärung zu gewinnen, da sie die neue Generation sind, die das Wissen und den Wandel der Einstellungen beeinflussen wird.
2. Sie bilden Frauen und junge Mütter aus um sie nachhaltig in eine bessere sozioökonomische Position zu bringen. Dazu gehört auch die Identifizierung und Umschulung der Beschneiderinnen zu traditionellen Geburtshelferinnen.
Computerkurs im NAFGEM Amani-Women-Center
3. Sie bieten Mädchen, die sich in ihren Familien und in ihren Gemeinden unsicher fühlen, eine sichere Unterkunft Schutz. Die Schutzhäuser sind auch und Bildungszentren um die Mädchen über ihre Rechte zu informieren, sie zu stärken und sie Mädchen sein zu lassen.
4. Kinder im Vorschulalter ab 3 Jahren werden in 2 Kindergärten nach Montessori-Standard betreut. Hier wird ihr für ihren Gesundheits- und Ernährungszustand in Zusammenarbeit mit den medizinischen Diensten gesorgt.
Kindergarten im NAFGEM Amani-Women-Center
5. Sie führen zweimal im Jahr Ferienlager mit Workshops zu sexueller und reproduktiver Gesundheit von Mädchen durch. Schulferien sind eine riskante Zeit für die Mädchen, da die Abwesenheit des Schutzraumes Schule manchmal von den Familien genutzt wird, um heimlich Genitalverstümmelung oder die Kinderheirat durchzuführen
6. NAFGEM arbeitet eng mit anderen Partnern einschließlich der Regierung zusammen. Frauen- und Kinderschutzausschüsse wurden auf regionaler, Bezirks-, Gemeinde- und Dorfebene gebildet, zur Kontrolle und Multiplikation der Ziele des Projektes. Die Zusammenarbeit gelingt auch über die Ländergrenzen hinaus mit anderen afrikanischen Ländern zum Austausch von Erfahrungen und Strategien gegen Genitalverstümmelung und Kinderheirat.
Sichtbare Erfolge
Die jahrelange Aufklärungsarbeit zeigt Erfolge: in den Gebieten, in denen NAFGEM schon seit vielen Jahren Aufklärung betreibt, nimmt die Zahl der durchgeführten Genitalverstümmelungen kontinuierlich ab und deutlich mehr Mädchen gehen zur Schule, in Ausbildung, auf Universitäten und schließlich in den Beruf.
Ruth bei Bachelor - Feier mit Kommilitonen.
Ruth war das erste Mädchen, das vor mehr als 10 Jahren aufgenommen und NAFGEM zur Betreuung übergeben wurde. Sie ist eine Maasai aus dem Norden Tansanias, hat mit Erfolg im Herbst 2019 den Bachelor für Psychologie bestanden. Sie hat sich jetzt an der Universität in Dar es Salaam auch für den Master-Studiengang eingeschrieben (Hier mehr zu Ruth) Weitere Mädchen, die schon vor vielen Jahren bei NAFGEM Zuflucht suchten, studieren inzwischen oder machen ein berufliches Diplom: Sozialarbeit, Jura, Pharmakologie, Forstwirtschaft, Veterinärmedizin, Gemeinwesen – die Liste ist lang. Undenkbar, hätten Sie nicht den Mut gefunden sich gegen ihr traditionell vorgesehenes Leben als junge Mutter und Ehefrau aufzubegehren. Jetzt können sie selbstbestimmt leben und anderen Frauen und Mädchen aus ihrer Gemeinschaft ein Vorbild sein.
Die ehemaligen Beschneiderinnen wurden in Schulungen zu traditionellen Geburtshelferinnen ausgebildet. So verlieren sie nicht ihr Einkommen, wenn sie keine Mädchen mehr beschneiden und ihr gesellschaftliches Ansehen als auch ihre sozioökonomische Stellung bleiben unversehrt.
Neue Gebiete
NAFGEM hat sein Aktionsgebiet inzwischen auf zwei weitere Bezirke erweitert, die an das bisherige Gebiet, in dem hauptsächlich Maasai wohnen, angrenzen: Kiteto und Hanang im Nordwesten Tansanias. Hier leben die ethnischen Gruppen der Iragws, Hadzabes und Barbaigs. Auch sie sind marginalisierte Nomadengruppen, ähnlich den Maasai. Es ist ein zäher und langer Kampf, diese Menschen, die so stark mit ihren Traditionen verbunden sind, davon zu überzeugen, dass ihnen diese Rituale schaden und sie davon abzubringen.
Materra unterstützt diesen Kampf gegen die Genitalverstümmelung mit Ihren Spenden. Jeder Euro, den Sie spenden, wird verdreifacht: Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) stockt unsere Spendengelder um 75 % auf. Das heißt, wenn sie € 1 spenden, können wir € 4 an NAFGEM schicken.
Grüße von NAFGEM Koordinator Francis Selasini mit NAFGEM-Mädchen